Wie sollen wir mit unseren Kindern über Schönheitsterror und die eigene Eitelkeit sprechen? Am besten möglichst ehrlich. Ein Kommentar von Lea Susemichel
„Wenn die beiden größer sind, wird sich das ja alles verändert haben.“ Ich weiß nicht, wie es zu diesem irrwitzigen Glaubenssatz kam, aber trotz aller Evidenz, dass das mit der feministischen Revolution eine ziemlich zähe Geschichte ist, war ich in meinen ersten Jahren als Mutter felsenfest überzeugt, dass sich bis zur Pubertät meiner Kinder vieles erledigt haben würde. Nun sind beide an der Schwelle zum Jugendalter, unverkennbar präpubertär, und das Patriarchat ist noch da. Immer schneller sehe ich am Horizont die gewaltige Staubwolke der apokalyptischen Reiter auf sie zurasen, die in diesem brutalen Regime Schönheits- und Schlankheitsterror, womöglich Körper- und Selbsthass für sie bringt. Am liebsten würde ich mich davorwerfen und „Rennt um euer Leben!“ rufen. Irgendwann niedergetrampelt zu werden, scheint sowieso unausweichlich. Die Allgegenwart der fiesen Bilder in allen Geräten und auf allen Werbeflächen, die in ihre Köpfe knallen, die Armee der bekloppten Mr. Beasts1 und bescheuerten Beauty-Influencerinnen, die ihnen mit kalter Grausamkeit nichts anzubieten haben außer Gemüse-Bowls und immer noch ein Workout und noch ein Lidstrich-Tutorial, erzeugen bei mir wie wohl bei vielen Eltern das lähmende Gefühl von Aussichtslosigkeit und Ohnmacht.
„Sephora-Kids“. Auch wenn Feminismus im Mainstream angekommen scheint – die sexistischen Körperpolitiken sind trotz gut vermarktbarem Body-Positivity-Blabla schlimm wie nie zuvor. Mehr als die Hälfte aller Jugendlichen würde inzwischen gern was am eigenen Aussehen ändern, über ein Viertel hat schon an eine Schönheitsoperation gedacht, zeigt eine aktuelle Studie. Während wir in unserer Jugend zwischen der „Du darfst“-Werbung und den aus heutiger Sicht harmlosen Beauty-Tipps der neuen „Bravo“ („Wie bastele ich mir Papilloten aus Klopapier?“) viel Zeit zum wieder zur Besinnung kommen hatten (in der sich die Papilloten auch schon wieder auflösten), prasseln auf sie rund um die Uhr immer neue Problemzonen ein, für die es ständig neue Produkte braucht. Kosmetikfirmen bringen inzwischen Anti-Aging(!)-Pflegeserien für Kinder heraus, auf TikTok gibt es bei den „Sephora-Kids“ genannten Unter-Zehnjährigen gerade den Trend, ihre „Night Routine“ vorzuführen – und damit ist kein Abendritual mit Zudecken und Gutenachtgeschichte gemeint.Der globale Umsatz für Beauty und „Selfcare“ wird übrigens für 2024 auf knapp 600 Milliarden geschätzt, bis 2028 soll diese Summe auf 675 Milliarden steigen.
Eine elterliche Reaktion, um angesichts dieser Entwicklungen nicht völlig zu verzweifeln, besteht darin, das Problem einfach kleinzureden. Dabei sollten wir doch alle wissen – viele aus eigener Erfahrung, die anderen zumindest durch das Mitleiden mit Freundinnen –, wie unermesslich groß der Schmerz von Heranwachsenden sein kann, die unter ihrem Körper leiden. Wie unfassbar viel Raum es über lange Jahre einnehmen kann, die eigene Haut, die eigene Nase, das eigene Gesicht zu hassen, sich dick oder auf irgendeine andere der Millionen möglichen Arten „falsch“ zu fühlen. Der Druck ist vor allem für viele Mädchen und queere Kinder viel zu groß, um ihn aus Fatalismus zu bagatellisieren. Und er ist viel zu folgenschwer für ihr ganzes weiteres Leben. Studien zeigen, dass es schon reicht, dass ihr Äußeres überhaupt kommentiert wird (auch wenn das auf positive Art passiert), damit Mädchen sich weniger kompetent fühlen.
Einfach nichts sagen. Ein erster hilfreicher Schritt könnte also sein, dass wir damit aufhören, die Körper unserer Kinder zu beurteilen, auch wenn das oft schwerfällt. Doch auch die Sorge, das eigene Kind könnte vom vielen Zuckerkonsum Diabetes bekommen, ist kein Grund für Fatshaming. Fettige Haare sind kein Gesundheitsrisiko und kein Zivilisationsbruch. Aber einfach nichts dazu zu sagen, fällt uns auch deshalb so schwer, weil es eben nicht nur die Bilder sind, die von außen kommen, sondern auch die, die wir alle in uns tragen.
„Sie ist schrecklich plump und oft so ungeschickt“, hat vor Jahren einmal eine Mutter beschämt und fast entschuldigend zu mir gesagt, während wir unseren Töchtern beim Kinderturnen zuschauten. Ihre Tochter war damals noch keine vier Jahre alt. Ich war verstört von dieser Bemerkung und habe lange nachgedacht, was diese – eigentlich sehr liebe – Person wohl dazu bringt, ihr sicherlich heißgeliebtes Kleinkind, das einfach nur entzückend tollpatschig auf einer Matte herumpurzelt, so brutal zu bewerten. Und obwohl es wohl die grausamen Bewertungen sind, die wir selbst erfahren haben und mal mehr, mal weniger gefiltert ungewollt weitergeben, darf das keine Entschuldigung sein, um nicht unermüdlich selbstkritisch darauf hinzuarbeiten, diese Weitergabe zu durchbrechen. Etwa in dem wir, dem Rat der Psychoanalytikerin und Autorin von „Bodies. Schlachtfelder der Schönheit“, Susie Orbach, folgend, nicht über das Aussehen von Körpern sprechen, sondern darüber, was diese alles ermöglichen – nicht zuletzt am Leben zu sein und es hoffentlich zu genießen. Oder indem wir auch bei unseren Kindern auf den „Mere exposure“-Effekt setzen, der bewirkt, dass wir durch bloße Gewöhnung einen Anblick irgendwann auch attraktiv finden, also auch Körperhaare oder Falten.
„Almond Moms“. Ja, es ist ein Skandal, dass wir dabei wieder auf uns selbst gestellt sind und jeden Tag aufs Neue alleine die schwierige Grenze ziehen müssen, wo der gemeinsame Spaß mit der Glitzerschminke aufhört und der misogyne Milliarden-Beautybusiness-Ernst anfängt. Und ja, selbstverständlich müssten auch die Väter dabei endlich in die Pflicht genommen werden. Aber bei aller feministischen Loyalität Müttern gegenüber, die sowieso immer an allem schuld sind, und die vielleicht ihr Leben lang erfahren haben, dass sie Anerkennung und narzisstische Zufuhr vor allem über ihr Äußeres bekommen: Irgendwann muss damit einfach Schluss sein.
Es sind eben nicht nur Heidi Klum oder die sogenannten „Almond Moms“, die ihren Töchtern Tipps geben, wie sie mit ein paar Mandeln zwischendurch den Hunger unterdrücken und diese zur Erweiterung der eigenen Eitelkeit missbrauchen, die den Schaden anrichten. Es sind auch die feministischen Mütter, die ihre Botox-Behandlung zur empowernden Selfcare und den Boob-Job zur emanzipatorischen Bodymodification umdeuten. Kritik daran ist old-school-Feminismus, heute heißt es: you go girl, gönn dir!
Benutzt so viel Botox, wie ihr wollt, aber erzählt euren Kindern bitte keinen Bullshit. Natürlich soll sich keine auch noch schlecht fühlen, weil sie es nicht schafft, diesem Schönheitsterror im Alleingang die Stirn zu bieten und sich dafür schämen, dass sie eitel ist und Geld für Dinge ausgibt, die sie eigentlich ablehnt. Aber warum diese Eitelkeit nicht einfach zugeben? Und mit dem eigenen Kind in altersadäquater Form über Schönheitsstandards sprechen. Ihm sagen: „Mir ist mein Aussehen leider wichtiger, als mir lieb ist. Ich wünschte, es wäre anders. Vor allem aber wünsche ich mir, dass es dir und deiner Generation besser ergeht als unserer und dass dir dein Körper keinen Kummer macht.“ Es ist ohnehin so wenig, was wir als Eltern in Anbetracht von Social Media & Co tun können. Das Wenige zumindest sollten wir also unbedingt versuchen.