Erst seit letztem Jahr erinnert ein Gedenktag an den Holocaust an den Rom*nja und Sinti*zze. Lea Susemichel hat die Politikwissenschaftlerin Mirjam Karoly gefragt, warum diese Opfergruppe so lange vergessen wurde.
an.schläge: 2023 wurde der 2. August als internationaler Roma-Gedenktag an die Opfer antiziganistischer Gewalt festgelegt, bislang gab es nur den 8. April zur Erinnerung an die Abhaltung des ersten Weltroma-Kongress.
Woran soll der 2. August erinnern?
Mirjam Karoly: In ganz Europa fordern Rom*nja seit vielen Jahren die Einrichtung eines internationalen Gedenktages für den NS-Völkermord an den Rom*nja und Sinti*zze. 2015 hat das Europäische Parlament diese Forderung mit einer Resolution unterstützt, letztes Jahr wurde der Gedenktag von der österreichischen Regierung eingerichtet. Am 2. August gedenken wir der 4.300 Rom*nja, Frauen, Männer und Kinder, die in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordet wurden. Das Ereignis steht symbolisch für die Ermordung von rund 500.000 Romn*ja während des Holocaust. In Österreich haben nur etwa 600 von ehemals 11.000 Romn*ja und Sinti*zze, die 1938 in Österreich gelebt hatten, überlebt. Ein Verbrechen, das in der Nachkriegsgesellschaft in Österreich wie in Deutschland und vielen anderen Ländern verschwiegen wurde.
Wieso wurde diese Opfergruppe so lange vernachlässigt, obwohl sie weiterhin so massiv von Diskriminierung betroffen ist, wie zuletzt auch Corona oder der Krieg in der Ukraine gezeigt haben? Seit Jahren ist ein Mahnmal für Rom*nja und Sinti*zze in Wien geplant – ungesetzt ist es immer noch nicht.
Das ist kein Zufall, sondern steht für die Fortführung tief verwurzelter antiziganistischer Vorurteile und für den anhaltenden, gesellschaftlichen und institutionellen Rassismus gegen Rom*nja. Rom*nja wurden in Fortführung der Nazi-Diktion über viele Jahre nicht als rassistisch verfolgte Opfer anerkannt, die Behörden argumentierten, sie seien aus kriminalpräventiven Gründen verfolgt worden, weshalb ihnen für erlitte Lagerhaft in eigens für Rom*nja errichtete Lager wie in Lackenbach lange keine Wiedergutmachungsleistung zuerkannt wurde. Sie waren Opfer zweiter Klasse. Während die überlebenden Rom*nja weiterhin Diskriminierung und Ablehnung erfuhren, blieben die Täter*innen unverschont. Der Holocaust an den Rom*nja war in der offiziellen Erinnerungskultur bis Ende der 1980er-Jahre nicht existent, dadurch konnte sich auch kein gesellschaftliches Unrechtsbewusstsein gegenüber Rassismus und Diskriminierung gegen Rom*nja entwickeln. Die Folgen davon sehen wir heute überall in Europa, wo Rom*nja von Diskriminierung, Rassismus und Hasskriminalität betroffen sind, was ihre Möglichkeiten auf ein sicheres Leben stark einschränkt. Antiziganismus hat über Jahrhunderte den Ausschluss und Diskriminierung von Rom*nja aus der Gesellschaft geprägt, im Holocaust fand dies im Völkermord einen schrecklichen Höhepunkt und wurde auch in der österreichischen Nachkriegsgesellschaft gepflegt. Dass es bis heute, achtzig Jahre nach der Ermordung der Rom*nja in Auschwitz-Birkenau noch immer kein zentrales Mahnmal für den NS-Völkermord an den Rom*nja in Österreich gibt, ist Zeichen des institutionellen Antiziganismus.
Die Europäische Kommission will mit der „Roma-Strategie“ Diskriminierung und Roma-Feindlichkeit in ganz Europa bekämpfen und die gesellschaftliche Teilhabe fördern, insbesondere was Bildung und den Arbeitsmarkt betrifft. Österreich ist säumig bei der Umsetzung. Woran liegt das, was muss sich ändern?
Österreich hat im Rahmen der ersten europäischen Roma Strategie 2011-2020 auch eine nationale Roma-Strategie erstellt und dabei vor allem auf Initiativen der Rom*nja Zivilgesellschaft aufgebaut. Dabei gab es einige gute Ansätze. 2020 wurde eine Evaluierungsstudie durchgeführt, die zeigt, dass die Ziele zur Förderung der Inklusion in weiten Teilen nicht erreicht wurden. Dies wurde so hingenommen, ohne sich konkret damit auseinanderzusetzen, warum es so wenig konkrete Ergebnisse gibt. Die Rom*nja-Zivilgesellschaft hat in den vergangenen Jahren unheimlich viel geleistet, aber sie alleine wird keine Inklusion und Gleichstellung können, dazu braucht es konkrete politische Maßnahmen, für die sich die verantwortlichen Stellen zuständig fühlen. Das genau ist das Problem. Es gibt viel zu wenig Austausch zwischen der Zivilgesellschaft und den Behörden. Von zentralen Stellen, beispielsweise in Arbeitsmarktpolitik und Bildung, weiß kaum jemand von der nationalen Roma-Strategie, weder auf nationaler noch lokaler Ebene und es gibt keine Bemühung, sie umzusetzen. Offensichtlich überlässt man die Umsetzung der Strategie alleine der Rom*nja-Zivilgesellschaft, die dafür aber weder die Ressourcen noch die machtpolitischen Möglichkeiten hat. Somit kann das Projekt nur scheitern. Ein Beispiel: Romano Centro führt seit bald dreißig Jahren ein Projekt zur Schulmediation durch, wo Rom*nja an Wiener Schulen die Ausbildung von benachteiligten Kindern fördern. Die Schulen, Lehrer, Eltern und vor allem die Kinder profitieren davon. Bis heute aber hat sich die Wiener Schulbehörde nicht dafür eingesetzt, dies zu institutionalisieren, obwohl gerade jetzt, nach der Pandemie, die Bildungslücken bei armutsbetroffenen Kindern krass auseinandergeklafft sind.
Die Politologin Mirjam Karoly leitete von 2013-2017 die OSZE-Kontaktstelle für Roma- und Sinti-Fragen beim Büro für Menschenrechte und Demokratisierung in Warschau.