Der Blaumann der Hausfrau

Sehr selten sieht man ihn noch in angestaubten Läden neben altmodischen Nachthemden hängen, auf der Straße aber ist er weitgehend verschwunden: der Hauskittel. In meiner Kindheit war er noch allgegenwärtig. Mit Stützstrumpf und Stolz trug meine Oma Käthe ihn täglich, diesen Blaumann der Hausfrau. Auch all ihre Nachbarinnen und Bekannten steckten wochentags in der Kittelschürze, die Distinktionsmöglichkeiten beschränkten sich dabei auf Fadendichte und Zierstickerei.

Wie heute bei Schuluniformen oder in der Sauna, erkannte das geschulte Auge zwar schnell den Preis von Halskette und Haarschnitt, einander gleicher waren die Frauen in dieser gemeinsamen Arbeitskluft der unbezahlt Werktätigen dennoch. Gleicher vor allem auch dank der kollektiven Erlösung vom Anspruch, im Hausarbeitskleid auch noch eine gute Figur machen zu müssen. In den meisten Milieus war spätestens mit Mitte dreißig Schluss mit dem Schönheitsstress: „Irjendwann is och jenuch“, wie meine Oma gepoltert hätte. Gut aussehen musste dann nur noch das Wohnzimmer, die Arbeit am Selbst hingegen bestand im Wesentlichen im samstäglichen Friseurbesuch zum Ondulieren. Für den Rest der Woche wurden die mausbraunen, später lila-grauen Locken unter einem geknoteten Kopftuch geschont, auch das ein klassenübergreifender Einheitslook. Selbst „die Flotten“, wie sie bei meiner Oma hießen, legten den Bindegürtel bald ab, schließlich verdeckte die durchgeknöpfte Einheitstracht die Kilos ebenso gnädig wie den Klassendünkel. Die herrlich nierenwärmenden Liebestöter darunter sowieso.

Meine Uroma trug zum Kittel zwar bis zuletzt Lidstrich, aber keineswegs, um Männer zu beeindrucken. „Mit dat schorrje Onnosel teil ich doch nich miene Rente“, beschied sie stattdessen jedem ihrer zahlreichen Verehrer. „So was will man doch nich zuhause haben“, pflichtet ihre Tochter ihr bei.
In den sehr seltenen Fällen, in denen ich heute noch eine Kittelschürze sehe, vermisse ich die beiden sehr. Und mit ihnen fehlt mir schmerzlich die Aussicht, dass auch für unsere Generation irgendwann der Vorhang über der Selbstoptimierung fällt. Gerne aus kleinkartiertem oder großgeblümtem Stoff, der unseren Körpern bei jeder Berührung weichgewaschen zuraunt: „Nu is jenuch.“

Lea Susemichel plädiert für ein feministisch subversives Revival der Kittelschürze, mit extragroßen Taschen.