„Was könnte ich sonst noch tun?“

Nicht erst seit den Facebook-Leaks ist klar, dass soziale Medien vor allem Mädchen oft gar nicht guttun. Die Pandemie hat es nicht besser gemacht. Von Lea Susemichel

 

Vor knapp zwanzig Jahren wurde Facebook von Mark Zuckerberg entwickelt, um die „Fuckability“ von Studentinnen zu bewerten. In dieser Hinsicht scheint sich Social Media kaum weiterentwickelt zu haben, denn ein zentraler Ort für „Social Comparison“ ist es auch heute. Mit dem Unterschied, dass wir dort nicht nur miteinander verglichen werden, sondern uns nun auch ständig selbst mit anderen vergleichen.
Die damit einhergehende Inszenierung des eigenen Ichs, die alle Beteiligten auf Plattformen wie Instagram und TikTok betreiben, ist insbesondere für Mädchen zur anstrengenden alltäglichen Arbeit am Selbst geworden. Pubertäre Identitätssuche findet inmitten einer Bilderflut statt, in der alles zur konsumierbaren Performance und „das Selbstsein die letzte Naturressource des Kapitalismus geworden ist“, wie Jia Tolentino in ihrer Essay-Sammlung „Trick Mirror“ schreibt.
Dass die Silicon Valley-Giganten diese „Naturressource“ unter allen Umständen auszubeuten gedenken, haben spätestens die Facebook-Leaks klar gemacht. Wie die Whistleblowerin Frances Haugen enthüllte, wardem Konzern durch interne Studien längst bewusst, wie schädlich Instagram sich insbesondere auf junge Mädchen auswirken kann und wie sehr der ständige Vergleich mit anderen die Art verändert, wie Mädchen sich selbst wahrnehmen und beschreiben.

Essstörungen & Suizidgedanken. Die unter Verschluss gehaltenen Facebook-Studien zeigten: Bei einem Drittel aller Mädchen im Teenageralter befördert Instagram Essstörungen weiter und verschlimmert die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Auch darüber hinaus leidet die psychische Gesundheit, Instagram ist für den Anstieg von Angstzuständen und Depressionen verantwortlich. Selbst Suizidgedanken führen bis zu 13 Prozent der Nutzer:innen auf den Einfluss des sozialen Netzwerks zurück.
Doch diese besorgniserregenden Ergebnisse ändern nichts daran, dass „Meta“, wie der Konzern nach dem PR-Desaster inzwischen heißt, auch noch jüngere Kinder als „wertvolle, bisher ungenutzte“  Ressource anzapfen möchte. Die Leaks zeigen, dass Facebook seit fünf Jahren Strategien prüft, um der Konkurrenz von TikTok und SnapChat zu begegnen und bereits jüngere Kinder an die Plattform zu binden. Mit dem derzeit auf Eis gelegten „Instagram Kids“ sollten deshalb schon „Tweens“, also die Zehn- bis Zwölfjährigen, geködert werden. Selbst die Zielgruppe der bis Vierjährigen taucht  in den geleakten Dokumenten auf.
„Die Facebook Leaks zeigen nur etwas, das andere Studien schon länger nahelegen“, kommentiert das die Medienwissenschaftlerin und Medienpädagogin Rosa Danner im an.schläge-Interview und verweist etwa auf die HBSC Studie für Kindergesundheit der WHO. Die Studie zeigt, dass immer jüngere Mädchen unglücklich mit ihrem Aussehen sind. Begannen entsprechende Selbstzweifel früher im Schnitt erst ab einem Alter von 15, stehen inzwischen schon 11- bis 13-Jährige auf Kriegsfuß mit dem eigenen Körper, was vor allem auf den gestiegenen Einfluss von Social Media zurückgeführt wird. Die letzte Erhebung ist von 2018, es ist davon auszugehen, dass sich die Entwicklung seither weiter verschärft hat, aktuelle Zahlen sind alarmierend.

Doch auch wenn das Wissen um diese Zusammenhänge nicht neu ist: „Die krasse neue Erkenntnis ist“, so Rosa Danner „dass ein Konzern bewusst die Gesundheit von Menschen – besonders die von Kinder und Jugendlichen, die noch vulnerabler sind – zur Gewinnmaximierung aufs Spiel setzt.“
Vor allem Meta, dem zudem die stillschweigende Billigung von Menschenhandel und die schamlose Monetarisierung von Wut, Hass und Gewalt vorgeworfen wird und das auch gegen das geplante EU-Verbot von Micro-Targeting aufbegehrt, steht aufgrund dieser Enthüllungen gegenwärtig im Fokus der Kritik. Aber auch Plattformen wie TikTok, das inzwischen weltweit von einer Milliarde vornehmlich junger User:innen oft täglich genutzt wird, sind nicht besser. Die Tiktok-Sucht, die sich analog zur „Smartphone Addiction Scale“ erheben lässt, verstärkt bei Teenagern Angstzustände und Depressionen und führt bei vielen zu Konzentrationsschwächen bis hin zum Gedächtnisverlust. Auch hier wird das in Kauf genommen, schließlich ist es das oberste Ziel, die Anzahl der „Daily Active User“ stetig zu steigern. Dafür nutzt TikTok ganz besonders aggressive Algorithmen, eine algorithmische Präzision, die dazu führt, dass TikTok auch rechtsextreme Radikalisierung unter Jugendlichen begünstigt, wie eine Studie von Media Matters zeigt. Und die Mädchen bei entsprechenden Präferenzen durchaus auch mal zu Magersucht-Challenges lotst.

Beherrschung der Aufmerksamkeit“. Diese „Beherrschung der Aufmerksamkeit“ wie die Medienwissenschaftlerin McKenzie Wark diese neue Machttechnik nennt, bedient sich unter anderem des Instruments des „Infinite Scroll“, der die Verweildauer durch immer neue Dopamin-Kicks drastisch erhöht.
„Instagram, Tiktok und co. und auch viele Game-Producer nehmen es bewusst in Kauf, Suchtverhalten zu fördern. Vieles wird so programmiert, dass wir möglichst viel Zeit dort verbringen und Infos über unser Verhalten und unsere Vorlieben liegen lassen“, sagt Danner. „Durch Covid hat sich das alles nochmal potenziert, Social- Media-Kanäle wurden über weite Strecke zum Fenster zur Welt.“
Und dieses Fenster zur Welt zeigt Jugendlichen immer stärker gefilterte und standardisierte Schönheitsideale, die immer unerreichbarer werden.

„Die sieht normaler aus.“ „Ich hab mich schon daran gewöhnt, dass alle immer so perfekt aussehen“, sagt die elfjährige Mascha, deren Handyzeit auf eine Stunde am Tag limitiert ist. Sie nutzt sie vor allem für TikTok und findet es besser, „wenn die Frauen nicht so perfekt oder auch mal dicker sind“. Auch deshalb mag sie die Schminktutorials von Paula Wolf besonders gern, „die sieht normaler aus und ist außerdem lustig“. TikTok lässt auch die klassische Boygroup-Phase zu: Mascha erzählt, dass viele Freudinnen den K-Pop-Bands BTS und Blackpink folgen.
Doch darum, ob jemand gut singen oder skateboarden kann, geht es bei der Selbstinszenierung selten, im Zentrum stehen stattdessen Schönheit und Fitness, die Influencerinnen konkurrieren mit den originellsten Grünkohlrezepten, Übungen für den „Brazilian Butt“ oder diversen – nicht selten gesundheitsgefährenden – Challenges. Angesichts dieser besorgniserregenden Bilanz ist es wenig verwunderlich, dass die ehemaligen Twitter-, Facebook- und Google-Mitarbeiter:innen, die in der Netflix-Doku „The Social Dilemma“ aus dem Nähkästchen plaudern, ihre Kinder nie mit Social Media alleine lassen oder ihnen sogar jede Nutzung strikt verbieten. Doch was können Eltern sonst tun, um ihre Kinder zu schützen und zu stärken?
Rosa Danner: „Ich empfehle, schon bei Kleinkindern damit anzufangen, ihren Selbstwert zu stärken und immer wieder gemeinsam über Medien und Medienkonsum zu reflektieren. Also sich gemeinsam zu fragen: ,Wie geht es mir gerade, wenn ich mir das alles reinziehe? Was könnte ich sonst noch tun? Womit würde es mir besser gehen?‘“ Wichtig sei es, sich für die Vorbilder und Vorlieben der Kinder zu interessieren und dabei die Gratwanderung zu meistern, die Influencerinnen nicht zu heftig zu kritisieren, „sonst sind wir als Gesprächpartner:innen schnell uninteressant“. Besser sei es, gemeinsam die mediale Inszenierung zu reflektieren, sich also zu fragen „wie etwas gemacht und welcher Ausschnitt des Lebens uns da gezeigt wird.“

„Hätte ich mir auch gewünscht.“ Es gibt natürlich auch positive Aspekte: Social Media wird von jungen Menschen für Hilfestellung, Empowerment, Vernetzung, Wissensvermittlung. politischen Protest und nicht zuletzt unter Freund:innen genutzt. Auch die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen ist heute größer als noch vor einigen Jahren. Viele überlegen sich sehr genau, was sie via Social Media von sich preisgeben. Allerdings dürfte diese Zurückhaltung laut Safer Internet auch viel mit Hass im Netz zu tun haben und den fiesen Kommentaren, die es vor allem auf TikTok sehr häufig gibt.
Positiv hervorzuheben sei auch, dass „sehr tolle Nischen entstehen“, so Danner. „Es gibt Kanäle, die über die Inszenierung auf Social Media reflektieren, die psychische Gesundheit thematisieren oder Influencer:innen, die Arbeitsbedingungen transparent machen und kritisieren. Es gibt wahnsinnig gut gemachte queere und feministische Kanäle wie z. B. Auf Klo oder safespace, die sich an Jugendliche richten, Pubertäts- und Aufklärungsthemen aufnehmen und die dabei noch emanzipatorisch und divers sind. So etwas hätte ich mir als Mädchen auch gewünscht.“
Dass Social Media möglichst guttun und Freude machen sollte, hat zum Glück auch Mascha schon herausgefunden: „Lustige Videos mag ich am liebsten.“

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